Beten, ist das nicht ein verstaubter Begriff? Verstaubt, ja, aber was ist unter dem Staub begraben? Betest du manchmal? Wie denn? Knieend? Stehend? Mit gefalteten Händen? Beten nur fromme Menschen? Du siehst, das Beten kennt viele Formen und kann vieles bedeuten!
Schauen wir das Vaterunser an. Nach Matthäus 6, 9–13, hat uns Jesus selbst zu beten gelehrt. Der erste Teil preist Gott im Himmel, dessen Name geheiligt werde und sein Reich kommen möge. Erst im zweiten Teil wird die Bitte ausgesprochen, er möge für unser tägliches Brot sorgen und unsere Sünden vergeben.
Stille Nacht hält auch Zwiesprache mit einem Du und sieht in einem hilfsbedürftigen Kind den Sohn Gottes, der unser Bruder geworden ist. Gott umarmt als Vater die Völker der Erde so zärtlich, wie man es nur mit einem Kind tun kann. Hier verschmelzen Himmel und Erde.
Was gefällt dir besser? Das Preisen oder das Bitten? Spielen wir diese Grundworte nicht gegeneinander aus. Beide drücken eine vertraute Zwiesprache mit einem Du aus.
Joseph Mohr bittet nicht um Hilfe in der Not. Er preist, dass er geborgen in den Händen eines gütigen Vaters liegt. Er redet ihn mit Du an. Da bleibt kein Platz für ein unterwürfiges Bitten an einen mächtigen Herrscher, er möge ihm in der Not beistehen.
Für Joseph Mohr ist Gott kein Macher und der Mensch ist kein armes Wesen. Ein liebendes Du kennt kein oben oder unten. Das verleiht dem Menschen göttliche Würde. Schuld und Schwächen zählen nicht.
Stille Nacht ist eine zärtliche Zwiesprache mit einem väterlichen Du, das die Zärtlichkeit in unserem täglichen Umgang mit Menschen mit einschließt – und das ist „göttlich“. Stille Nacht ist ein Gebet in seiner reinsten Form.