Flandern (Belgien), Weihnachten 1914, bei Ypern stehen deutsche und englische Soldaten feindlich einander gegenüber, die Schützengräben oft keine 100 Meter voneinander entfernt. Ein erbarmungsloser Stellungskrieg, der bis dahin schon eine halbe Million Opfer gefordert hatte: Familienväter, Bauernsöhne, Handwerksgesellen, Lehrer ….
Beim Einrücken waren sich die Soldaten sicher, Weihnachten wieder im Kreis ihrer Familien feiern zu können. Die anfängliche Begeisterung für den Kampf für Gott und Vaterland wich – angesichts der zerfetzten und verbluteten Kameraden – bald dem Entsetzen und der Hoffnungslosigkeit. Der Tod war ständiger „Gast“ im Schützengraben. Englische wie deutsche Soldaten hingen wie geschlagene Hunde über dem Abgrund, im Dreck, in der Kälte, einsam, weit weg von seinen Lieben, die „Hose voll“!
Joseph Mohr, befand er sich fast hundert Jahre zuvor nicht auch in einer ähnlichen Situation? Der „Feind“ lag nicht im Schützengraben gegenüber, sondern in ihm selbst, seiner persönlichen Geschichte. In Mariapfarr, da taten sich Abgründe auf, er stand einsam vor den Trümmern seiner Vergangenheit, weit weg von seiner vertrauten Welt in der Stadt Salzburg – und die Zukunft?
Joseph Mohr spürte, dass Gott nicht hoch oben im Himmel thront, sondern unser Vater geworden ist, dessen „Sohn in Liebe aus seinem göttlichen Mund“ zu uns lacht. (2. Strophe). Joseph Mohr jubelt mit zärtlichen Worten, mit Poesie. Er besingt in der vierten Strophe überschwänglich die Macht der väterlichen Liebe, mit der er in seinem Sohn „huldvoll die Völker der Erde umschloss“.
Franz Xaver Gruber, Lehrer und Organist in Arnsdorf und Oberndorf verstand im Weihnachtsgedicht Stille Nacht diesen Lobpreis und fand die passende Melodie dazu. So bahnte sich ein Friedenslied den Weg in die Herzen rund um die Welt.
Stille Nacht brachte zu Weihnachten 1914, in der Urkatastrophe im 20. Jahrhundert, die Waffen zum Schweigen! Feinde wurden zu Freunden, die Geschenke austauschten, einander Fotos ihrer Liebsten zeigten, sogar Fußball spielten.
Harte Getränke, die den Stress und die Angst bei Angriffen betäuben sollten, dienten nun einem freundschaftlichen Prost. Diese Soldaten taugten nicht mehr zum Kriegsführen. Sie wurden ausgetauscht. Die Mächtigen setzten das Gemetzel fort. Der Friede bleibt doch eine zarte und zerbrechliche Pflanze, die aber gegen alle Widerstände immer wieder aufkeimt und Blüten hervorbringt – wie Stille Nacht.